29. Mai 1983
„Wenn die Chorgemeinschaft in diesem Jahr ihren 150. Geburtstag begehen darf, so dürfen wir nicht nur die Jahre zählen. Wir müssen uns die Frage stellen, „150 Jahre singende Gemeinschaft“, was sagt uns das? Ist das für uns nur so eine mit Stolz dahingesprochene Zahl oder erinnern wir uns dabei nur an eine 150 Jahre alte, von Generation zu Generation überlieferte Tradition? Diese Frage mit dem vielzitierten Schlagwort „Dabeisein ist alles“ zu beantworten, wäre töricht und beschämend. Haben wir nicht vielmehr durch unser hohes und edles Ideal – Gesang und Musik – eine kulturelle Aufgabe zu erfüllen, die unser eigenes Leben bereichert und vielen Menschen Freude bereitet?
Freilich hat die immer fortschreitende Technik die Welt und die Menschen in den vergangenen Jahrzehnten verändert und so wurden auch im Chorgesang viele neue Akzente gesetzt. Das Volkslied hat sich in Form und Gestaltung einem Wandel unterzogen, der die Chöre immer wieder vor neue Aufgaben stellt. Dies wurde ganz besonders in der Zeit deutlich, als Professor Hugo Herrmann, Komponist und Bundeschormeister, in der Chorgemeinschaft stabführend wirkte. Doch können wir mit Genugtuung feststellen, dass trotz Suchen und Streben nach neuen Wegen das alte Liedgut nie in Vergessenheit geraten ist. Denken wir an die schlichten und einfachen Volksliedsätze von Silcher, Zelter, Zöllner, um nur einige zu nennen, die schon vor 150 Jahren die Menschen begeisterten und heute noch in vielen unserer Chöre lebendig sind; und das ist gut so, denn ist es nicht gerade das „Lied des Volkes“, das auch heute noch ein Stück Heimat verkörpert und die menschliche Harmonie für Seele, Herz und Gemüt auszudrücken und damit vielen Menschen ein schöneres und würdigeres Dasein zu schaffen vermag. Können wir uns einen schöneren und höheren Lohn für uns gemeinsames Singen wünschen als die Gewissheit, Freude geschenkt und Freude empfangen zu haben? So hat die Chorgemeinschaft ihren Auftrag, das „Alte“ zu pflegen und dem „Neuen“ aufgeschlossen zu begegnen, auch in dieser Hinsicht in vorbildlicher Weise erfüllt.
Ich darf nun allen Sängerinnen und Sängern, insbesondere den Verantwortlichen des Vereins, recht herzlich danken für ihren selbstlosen Einsatz um die Sängersache und wünsche der Chorgemeinschaft, dass das Jubiläumsjahr mit seinen Veranstaltungen und Konzerten ein Höhepunkt und würdiger Markstein in der Vereinsgeschichte werden möge.“
gez. Martin Kuhn